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Geschäftmodelle finden für Industrie 4.0

Integrative Entwicklung von Geschäftsmodellen und Wertschöpfungssystemen
Geschäftsideen finden für Industrie 4.0

Es ist offensichtlich, dass mit dem Paradigma Industrie 4.0 ein grundlegender Wandel der Wertschöpfung für produzierende Unternehmen verbunden ist. Damit einher geht die Notwendigkeit der Entwicklung innovativer Geschäftsmodelle. Wir zeigen im Folgenden, wie Geschäftsmodelle Schritt für Schritt erarbeitet werden können. Eine wichtige Rolle spielen dabei Geschäftsmodellmuster, die verallgemeinerte Lösungen für häufig auftretende Probleme bieten.

Die Unternehmen des deutschen Maschinenbaus und verwandter Branchen wie der Elektronikindustrie sind derzeit in vielen Bereichen Technologieführer. Auch die technologische Ausgangslage der deutschen Industrie im Bereich der Digitalisierung ist im internationalen Vergleich sehr vielversprechend – Stichwort Industrie 4.0. Um sich im zunehmenden globalen Wettbewerb aber langfristig behaupten zu können, müssen die Unternehmen Wege finden, ihre technologische Spitzenposition in nachhaltige Wettbewerbsvorteile umzumünzen. Dies erfordert innovative Geschäftsmodelle, also Konzepte dafür, wie das Unternehmen Werte schafft, seinen Kunden einen Nutzen stiftet und sie dazu motiviert, dafür Geld zu bezahlen.

Vor diesem Hintergrund wurde am Heinz Nixdorf Institut im Rahmen des vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) geförderten Forschungsverbundprojekts Gemini – Geschäftsmodelle für Industrie 4.0 (Projektträger DLR) ein Instrumentarium zur musterbasierten Geschäftsmodellentwicklung geschaffen. Es umfasst vier Methoden, eine Wissensbasis bestehend aus Technologien und Geschäftsmodellmustern sowie ein IT-Werkzeug (Abb. 1). Die Methoden adressieren den gesamten Prozess zur Entwicklung innovativer Geschäftsmodelle – von der Geschäftsideenfindung bis zur Modellierung des resultierenden Wertschöpfungssystems.

Die Methoden werden nachfolgend am Beispiel eines Unternehmens der Werkzeugmaschinenindustrie erläutert. Ziel des Unternehmens war es, neue digitale Dienstleistungen, sog. Smart Services, für seine Maschinen anzubieten. Für diese sollten Erfolg versprechende Geschäftsmodelle entwickelt werden.

Geschäftsideenfindung für Industrie 4.0

Der erste Schritt auf dem Weg zu neuen Geschäftsmodellen ist die Geschäftsideenfindung. Hier geht es darum, die zündende Idee für das Geschäft von morgen zu generieren. Dazu gilt es, zunächst kreativ zu sein: Im Projekt hat sich dazu die Kreativitätstechnik der Musteradaption nach Gassmann et al. als vielversprechend herausgestellt. Dabei werden die Nutzer mit den Geschäftsmodellmustern konfrontiert, um neue Ideen zu generieren. Beispielsweise führte die Konfrontation mit dem Geschäftsmodellmuster „Guaranteed Availability“ zur Idee eines „Predictive Maintenance Services“. Anschließend werden die unstrukturierten Ideen dokumentiert, bevor sie einem Auswahlprozess unterzogen werden. Erfolg versprechende Ideen werden anschließend zu Geschäftsmodellen konkretisiert.

Geschäftsmodelle entwickeln

Der erste Schritt bei der Geschäftsmodellentwicklung ist eine umfassende Kundenanalyse. Dafür verwenden wir in Anlehnung an Osterwalder et al. eine angepasste Value Proposition Canvas. Sie hilft bei der Strukturierung der Gedanken, indem sie den Anwender dabei unterstützt, die Kundenperspektive einzunehmen. Zunächst werden die sogenannten Kundenprofile ausgefüllt. Dabei werden für jedes homogene Kundensegment die jeweiligen Kundenaufgaben (z.B. Just-in-Time-Lieferung) gesammelt.

Darauf aufbauend wird analysiert, welche Probleme der Kunde bei der Erfüllung seiner Aufgaben hat (z. B. ungeplante Maschinenstillstände) und welche Gewinne bzw. Zusatznutzen er gerne realisieren würde (z. B. Sicherheit bzgl. der eigenen Liefertreue). Dem wird die Geschäftsidee mit den zugehörigen Marktleistungen (hier: der Predictive Maintenance Service) gegenübergestellt.

Durch den Abgleich der Vorteile der Marktleistungen mit den Gewinnen und Problemen lassen sich die Nutzenversprechen der Geschäftsidee ableiten. Sie beschreiben, warum der Kunde genau mit diesem Unternehmen ins Geschäft kommen will. In diesem Fall wegen der Erhöhung der Liefertreue und Vermeidung von Konventionalstrafen. Sind hinreichende Nutzenversprechen auffindbar, werden die Ergebnisse der Value Proposition Canvas in die Geschäftsmodell Canvas – also das Dokumentationsschema für Geschäftsmodelle – überführt. Abb. 2 zeigt die im Projekt Gemini entwickelte Geschäftsmodell Canvas, die nachfolgend prägnant erläutert wird:

Die Canvas gliedert 14 Geschäftsmodellelemente (z. B. Nutzenversprechen) in sechs Partialmodelle (z. B. Angebotsmodell). Das Angebotsmodell beschreibt, womit für welche Kunden wie ein Wert geschaffen wird. Im Kundenmodell werden die Schnittstellen zwischen Kunden und Unternehmen abgebildet. Die für das Geschäftsmodell angestrebte und erforderliche Wertschöpfung wird im Wertschöpfungsmodell dokumentiert. Das Finanzmodell gibt Aufschluss über Kosten und Erlöse. Die nicht-monetäre Motivation des Betreibers und der Partner wird im Anreizmodell beschrieben. Risiken werden im Risikomodell verortet.

Neben den Ergebnissen der Kundenanalyse werden nun auch weitere Aspekte der Geschäftsidee (beispielsweise eine bestimmte Technologie als Schlüsselressource) in die Canvas eingetragen. Somit ist der Kern des Geschäftsmodells definiert. Die Ausgestaltung erfolgt nachfolgend in interdisziplinären Workshops.

Zur Anregung der Kreativität oder zur Lösung konkreter Probleme können hier die Geschäftsmodellmuster eingesetzt werden. Die Muster enthalten neben einer genauen Beschreibung auch Hinweise dazu, welche Geschäftsmodellelemente das Muster beeinflusst und wie dies erfolgt. Dabei müssen die allgemeinen Angaben für den konkreten Anwendungsfall spezifiziert werden. Zudem finden sich Anwendungsbeispiele und kompatible Muster.

Abb. 3 zeigt eine Musterkarte sowie den Transfer der Informationen in die Canvas. Hier hat es sich beispielsweise als Erfolg versprechend herausgestellt, den „Predictive Maintenance Service“ mit einem „Freemium“-Erlösmodell anzubieten. Dabei können alle Kunden eine Basisversion des Services nutzen. Allerdings erhalten nur Premiumkunden Zugriff auf den vollständigen Leistungsumfang. Hat das Geschäftsmodell nach mehreren Iterationen den angestrebten Reifegrad erreicht, wird die risikobasierte Adaption durchgeführt.

Risikobasierte Adaption

In dieser Phase werden die zuvor ermittelten Risiken um weitere Risiken ergänzt. Bei deren Identifikation unterstützt ein umfassender Risikokatalog. Die Risiken werden anschließend bewertet und es werden Mitigationsmaßnahmen abgeleitet. Daraus ergeben sich zuweilen notwendige Anpassungen des Geschäftsmodells. Diese werden in die Canvas überführt.

Wertschöpfungsplanung

Wertschöpfungssysteme operationalisieren Geschäftsmodelle, d. h. sie überführen sie in die unternehmerische Praxis. Das Wertschöpfungssystem umfasst alle an der Leistungserbringung beteiligten Organisationseinheiten und Prozesse sowie deren Verknüpfungen hin zu einem unternehmens- und gegebenenfalls branchenübergreifenden System. Mit Hilfe einer eigens entwickelten Modellierungssprache werden die Informationen aus der Geschäftsmodell Canvas in ein initiales Wertschöpfungssystem überführt.

In Workshops wird dieses anschließend iterativ ausdetailliert. Dabei wurde beispielsweise deutlich, dass für die Operationalisierung des Geschäftsmodells eine digitale Plattform erforderlich wird, über die die Zahlungs- und Informationsflüsse ablaufen sollen. Die abschließende Analyse des ausgearbeiteten Wertschöpfungssystems erlaubt es schließlich, Verbesserungspotentiale sowie Schwachstellen zu identifizieren und zu beseitigen.

Resümee

Mit dem Gemini Instrumentarium lassen sich effizient und effektiv innovative Geschäftsmodelle entwickeln. Besonders eignet sich das Instrumentarium für den Einsatz im Kontext Industrie 4.0. Dabei deckt das Instrumentarium alle erforderlichen Schritte von der Ideenfindung bis zur Operationalisierung des Geschäftsmodells ab. Die Ergebnisse des Projekts sind in Form einer kostenlosen Broschüre online oder auf Anfrage als Print-Exemplar verfügbar.

Danksagung

Dieses Forschungs- und Entwicklungsprojekt wurde, aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestags, mit Mitteln des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWi) im Rahmen des Technologieprogramms Autonomik für Industrie 4.0 gefördert und vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V. (DLR) betreut. Die Verantwortung für den Inhalt dieser Veröffentlichung liegt bei den Autoren.

Heinz Nixdorf Institut Universität Paderborn
www.hni.uni-paderborn.de


Bewährte Lösungen neu gedacht

Bei der Entwicklung von Geschäftsmodellen für die Industrie 4.0 stehen viele Unternehmen vor den gleichen Fragestellungen und Problemen. Wenn sich die Probleme bei der Entwicklung von Geschäftsmodellen ähneln, liegt es nahe, dass sich auch die Lösungen für diese Probleme ähneln. Geschäftsmodellmuster sind Lösungsmuster – sie stellen bewährte Lösungsprinzipen dar, die sich auf wiederkehrende Problemstellungen anwenden lassen.

Durch Recherchen und Experteninterviews wurden im Projekt insgesamt 74 Geschäftsmodellmuster identifiziert. Darunter sind sowohl allgemeine als auch Industrie 4.0-spezifische Geschäftsmodellmuster. Ein typisches Industrie 4.0-Geschäftsmodellmuster ist beispielsweise „Leverage Customer Data“, also die Erhebung und Weiterverwendung von Kundendaten. Um eine einfache Handhabung zu gewährleisten wurden ähnliche Muster jeweils zu Gruppen zusammengefasst. Zudem wurden die Wechselwirkungen der Muster untereinander untersucht. Ergebnis ist das Geschäftsmodellmuster-System, das als Kartenset sowie im IT-Werkzeug verfügbar ist.


Die Autoren

Prof. Dr.-Ing. Jürgen Gausemeier ist Seniorprofessor, Benedikt Echterhoff und Christian Koldewey sind wissenschaftliche Mitarbeiter in der Fachgruppe Strategische Produktplanung und Systems Engineering am Heinz Nixdorf Institut der Universität Paderborn

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