Startseite » Software »

„Entscheidend sind Anwendung und Nutzung von Daten“

Prof. Dr.-Ing. Jürgen Kletti, Geschäftsführer, MPDV Mikrolab GmbH
„Entscheidend sind Anwendung und Nutzung von Daten“

Um durch effiziente Prozesse wettbewerbsfähig zu bleiben, nutzen zukunftsorientierte Fertigungsunternehmen moderne Manufacturing Execution Systeme (MES). Solche MES-Lösungen orientieren sich zunehmend an den Entwicklungen der Industrie 4.0. Im Mittelpunkt steht dabei nicht zuletzt der Umgang mit großen Datenmengen. Welche Bedeutung Big Data hat und welche Möglichkeiten für das produzierende Gewerbe damit verbunden sind, erläutert MPDV-Geschäftsführer Prof. Dr.-Ing. Jürgen Kletti.

mav: Daten spielen im Zeitalter der Industrie 4.0 eine größere Rolle denn je. Inwiefern hat sich dadurch die Datenerfassung auf Produktionsebene verändert?

Kletti: Die Erfassung großer Datenmengen ist und war schon immer eine wesentliche Disziplin von MES-Systemen. Besonders dann, wenn man auch Messdaten und Qualitätsdaten aus dem Prozess direkt mit hohen Frequenzen erfasst hat, führte das zu relativ großen Datenmengen. Im Zeitalter von Industrie 4.0 wird man dies weiter ausbauen. Es werden vielleicht auch Geräusche, Bilder und Videos dazukommen, jedoch wird man hier im ersten Schritt nicht über eine Vervielfachung der Datenmengen sprechen. Viel wichtiger erscheint mir an der Stelle, darauf hinzuweisen, dass die Anwendung und Nutzung dieser Daten das wesentliche Thema unter Industrie 4.0 ist. Es reicht ja nicht, die Daten zu erfassen und zu speichern, sondern sie müssen ausgewertet werden, um einen konkreten Nutzen zu bringen. Nutzen heißt in unserem Fall mehr Effizienz und mehr Qualität im Produktionsprozess.
Es stehen immer größere Mengen an vielfältigeren Daten noch schneller zur Verfügung – kurzum: Big Data. Welche konkreten Nutzungsbeispiele ergeben sich daraus für ein produzierendes Unternehmen?
Kletti: Die Datenbestände, die MES heute schon erfasst, und die größeren Datenbestände, die es in Zukunft erfassen wird, bergen einen großen Schatz, nämlich Erkenntnisse über den Verlauf der Produktion, eventuell über Schwachstellen in der Produktion und über Potenziale, wie man diese Produktion verbessern könnte. Heute werden die vielfältigen Daten dazu genutzt, um Auswertungen zu erstellen, über Nutzungsgrade, OEE oder über Feinplanungsszenarien oder auch zum Zwecke der Qualitätssicherung. Dies wird auch in Zukunft so nötig sein, um das Tagesgeschäft der Produktion zu optimieren. Es fallen Störungen an, deren Auswirkungen beseitigt werden müssen und um diese Auswirkungen intelligent zu beseitigen, sind die vielfältigen Auswertungen und Tools notwendig, die MES-Systeme bieten. Darüber hinaus kann man natürlich diese Datenmengen auch nutzen, um Trendanalysen durchzuführen, um langfristige Abhängigkeiten aufzudecken und so den Produktionsprozess auf der strategischen Seite zu optimieren.
Das Ziel besteht darin, mit Hilfe von Big Data Prozesse effizienter zu gestalten und die Fertigungsqualität zu steigern. Wie sieht das in der Praxis aus?
Kletti: Für diese Fragestellung muss man nicht unbedingt Big Data bemühen. Man stelle sich ein heutiges Fertigungsszenario vor. Allein aus der Stillstandsanalyse von Maschinen und Aggregaten kann man häufig aufkommende Stillstandsgründe lokalisieren. Beispielsweise muss ein Prozess permanent nachjustiert werden, weil ein Prozessparameter aus dem Ruder läuft. Oder bei einem Teil treten immer wieder dieselben Qualitätsprobleme auf. Das ist mit heutigen MES-Systemen, mit heutigen Standardauswertungen schon zu leisten. Daraus kann man nun ablesen, an welche Stelle man angreifen muss, um diese Stillstände zu verhindern und damit die Fertigung effizienter zu gestalten.
Welche Rolle spielen MES-Lösungen heute vor dem Hintergrund von Big Data?
Kletti: MES-Lösungen sind für mich ein unverzichtbares Element in der Industrie 4.0. Wenn wir für die Zukunft eine Smart Factory, also eine intelligente oder intelligent vernetzte Fabrik postulieren, dann wird es notwendig sein, die Produktion über MES-Systeme zu überwachen beziehungsweise über MES-Tools bereitzustellen, mit denen man die Produktion langfristig und auch im Tagesgeschäft effizient gestalten kann. Mit der Big-Data-Euphorie werden in der Zukunft Mechaniken entstehen, um die für MES notwendigen Daten preiswerter und effizienter zu speichern. Neuere Datenbankkonzepte werden dazu führen, dass man diese Daten auch mit komplexeren Fragestellungen schneller auswerten kann. Somit werden MES-Systeme von Big Data-Lösungen profitieren und dem Anwender noch schneller Ergebnisse zur Verfügung stellen.
Unterstützen solch riesige Datenmengen die Aufgaben eines MES tatsächlich, oder ist die Flut irgendwann zu groß?
Kletti: Auch in Zeiten von Industrie 4.0 und Big Data muss die Frage nach dem Zweck von Datenerfassung erlaubt sein. Ziellos alle möglichen Werte in einem Produktionsunternehmen zu erfassen, macht auf Dauer gesehen relativ wenig Sinn. Es muss hier zunächst die Anwendungsfrage gestellt werden: Für welchen Zweck benötige ich welche Daten? Selbst wenn ich mir Data-Mining-Szenarien in der Zukunft vorstelle, die aus allen erdenklichen Daten weitere Erkenntnisse generieren könnten, so muss ich doch einem Data-Mining-System Zielrichtungen vorgeben, in dem es nach Zusammenhängen suchen soll. Diese Zielrichtungen geben dann auch vor, welche Daten zu erfassen sind und welche Daten in welcher Häufigkeit zu erfassen sind. Wenn beispielsweise die Fertigungsqualität von der Umgebungstemperatur in der Werkhalle abhängt, so macht es im Durchschnittsfalle kaum Sinn, diese Temperatur im Sekundentakt oder noch schneller zu erfassen.
Die gezielte Auswertung der Daten macht somit aus Big Data Smart Data. Wie werden Smart Data die Fertigung noch verändern?
Kletti: Die Smart Data möchte ich mal mit intelligenten oder ausgewerteten Daten umschreiben. Damit verändern MES-Systeme die Fertigungswelt ja heutzutage schon. Anwender nutzen den Output aus ihren Systemen tagtäglich, um den kontinuierlichen Verbesserungsprozess voranzutreiben. Mit mehr Daten, mehr Auswertungen und schnelleren Auswertungen werden sich weitere Erkenntnisse ergeben, die man in noch mehr Effektivität und noch mehr Steigerung des Qualitätsstandards ummünzen kann. Aber diese Daten werden auch dazu genutzt werden können, um die Produzierbarkeit eines Teils oder eines Produktes zu beurteilen. Bei der Produktion eines Teils kann sich herausstellen, dass bestimmte Toleranzen schwierig einzuhalten sind oder dass bestimmte Qualitätsprobleme in der Oberfläche ein Problem darstellen. Hier kann man ansetzen und in der nächsten Version eines solchen Produktes versuchen, das Produkt so umzugestalten, dass es einfacher und effizienter produzierbar wird.
Wie sieht die Fabrik der Zukunft – also die Smart Factory – Ihrer Meinung nach aus?
Kletti: Die Smart Factory wird zunächst einmal mit einem MES-System ausgerüstet sein und vor diesem Hintergrund relativ papierarm produzieren. Wir sind heute von einer flächendeckenden Einführung von MES immer noch relativ weit entfernt. MES-Systeme müssen eine vertikale Integration im Unternehmen lückenlos unterstützen und auch horizontal integriert sein. Das heißt, es sollte keine Insellösungen für das Personalmanagement, das Fertigungs- oder das Qualitätsmanagement geben, sondern dies muss in einem System integriert sein, so wie es das MPDV-System Hydra vorlebt. Die MES-Systeme werden auch als Datendrehscheibe für unterlagerte Systeme, also für Maschinen-Subnetze dienen. Sie werden darüber hinaus den Datenaustausch zwischen Maschinen und zwischen ERP und Fertigung regeln. Ganz wichtig ist an dieser Stelle, sich nochmals die Anwendungssicht des Ganzen vor Augen zu halten. Wir reden oft und gerne über Big Data, über die technologischen Konsequenzen, über die IT-technischen Konsequenzen von Industrie 4.0. Auf der Anwendungsseite wurde hier noch relativ wenig definiert. Hier ist MES schon eine Anwendung, die sicher ausgebaut werden muss. Es muss die Interoperabilität vorangetrieben werden, es muss die Mobilität und die Dezentralität vorangetrieben werden. Aber MES wird das Instrumentarium, also die Anwendung für Industrie 4.0 in der Fertigung für die Zukunft sein. ■
MPDV Mikrolab GmbHwww.mpdv.com
„Die Datenbestände, die MES heute schon erfasst, und die größeren Datenbestände, die es in Zukunft erfassen wird, bergen einen großen Schatz.“

Veranstaltungs-Tipp
Im Rahmen der VDI-Konferenz „Big Data Technologien in der Produktion“ wird Prof. Dr.-Ing. Jürgen Kletti einen Vortrag zum Thema „MES – Big Data für mehr Effizienz und Qualität in der Produktion“ halten. Die Veranstaltung der VDI Wissensforum GmbH findet am 28. und 29. Juni 2016 in Karlsruhe statt (www.vdi-wissensforum.de).
Aktuelle Ausgabe
Titelbild mav Innovation in der spanenden Fertigung 2
Ausgabe
2.2024
LESEN
ABO
Newsletter

Jetzt unseren Newsletter abonnieren

Trends

Aktuelle Entwicklungen in der spanenden Fertigung

Alle Webinare & Webcasts

Webinare aller unserer Industrieseiten

Alle Whitepaper

Whitepaper aller unserer Industrieseiten


Industrie.de Infoservice
Vielen Dank für Ihre Bestellung!
Sie erhalten in Kürze eine Bestätigung per E-Mail.
Von Ihnen ausgesucht:
Weitere Informationen gewünscht?
Einfach neue Dokumente auswählen
und zuletzt Adresse eingeben.
Wie funktioniert der Industrie.de Infoservice?
Zur Hilfeseite »
Ihre Adresse:














Die Konradin Verlag Robert Kohlhammer GmbH erhebt, verarbeitet und nutzt die Daten, die der Nutzer bei der Registrierung zum Industrie.de Infoservice freiwillig zur Verfügung stellt, zum Zwecke der Erfüllung dieses Nutzungsverhältnisses. Der Nutzer erhält damit Zugang zu den Dokumenten des Industrie.de Infoservice.
AGB
datenschutz-online@konradin.de