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Additive Verfahren bereichern die Zerspanung

3D-Metalldruck eröffnet viele neue Möglichkeiten – als Substitutionstechnik taugt er (noch) nicht
Additive Verfahren bereichern die Zerspanung

Additive Verfahren bereichern die Zerspanung
Generative Verfahren eröffnen ganz neue strukturelle Möglichkeiten. Die spanende Endbearbeitung ersetzen sie vorerst nicht. Bild: Trumpf
Es ist noch nicht lange her, da wurde die additive Herstellung von Metallteilen von vielen konventionellen Fertigern zwar als faszinierend neu wahrgenommen, aber zugleich als unwirtschaftlich abgetan – oder aber als mögliche Substitutionstechnik misstrauisch beäugt. Doch aktuelle Studien zeigen, dass das Additive Manufacturing (AM) auf Sicht viel mehr eine Ergänzung und Erweiterung als eine Konkurrenz zur Zerspanung darstellt, und dass die deutsche Industrie hier ausgezeichnt positioniert ist. Autor: Dr. Frank-Michael Kieß

„Die additive Fertigung ist für die Branche ein Fertigungsverfahren unter vielen, wie zum Beispiel das Fräsen oder Erodieren – das übrigens auch erst vor rund 30 Jahren Einzug in die Werkzeugmacher-Betriebe gehalten hat.“ Die Einschätzung, die VDWF-Präsident Prof. Dr.-Ing. Thomas Seul für den Werkzeug- und Formenbau trifft, lässt sich auch auf andere Branchen übertragen. Namentlich in der Luftfahrtindustrie, aber auch in der Medizintechnik und zunehmend auch in der Automobilindustrie hat man das Potenzial des Additive Manufacturing, vulgo 3D-Druck, erkannt.

Es gibt kaum ein großes Zerspaner-Event, auf dem man dem Thema nicht begegnet. Entsprechend versuchen auch Verbände wie der VDW (Verein Deutscher Werkzeugmaschinenfabriken), das Thema für sich zu vereinnahmen. „Die additive Fertigung bereichert und ergänzt die Palette der verfügbaren und zum Kundenwohl nutzbaren Verfahren“, erklärte der Vorsitzende Heinz-Jürgen Prokop anlässlich des 125-jährigen Verbandsjubiläums – nicht ohne jedoch darauf hinzuweisen, dass in der Mittel-, Großserien- und Massenproduktion noch ein weiter Weg zu gehen sei, um konkurrenzfähige Stückkosten zu realisieren.
Revolution der Metallbearbeitung bleibt vorerst aus
Beim Neustart seiner Hausmesse Metav im Frühjahr hat der VDW das Thema in den Fokus gerückt und gleich noch eine eigene Studie präsentiert, die erst einmal Entwarnung für die Zerspaner gibt. Die Revolution in der Metallbearbeitung durch AM bleibe vorerst aus, nur zu 1 Prozent würden bestehende Verfahren substituiert – zumindest für die kommenden fünf bis sieben Jahre. „Additive Manufacturing ergänzt die Fertigungsverfahren in der Metallbearbeitung“, sagt Myron Graw, Partner der KEX Knowledge Exchange AG in Aachen, bei der die Studie in Auftrag gegeben wurde. Eine großflächige Verdrängung bestehender Bearbeitungsverfahren oder gar die viel zitierte Revolution in der industriellen Großserienproduktion finde aber vorerst nicht statt.
5,165 Milliarden US-Dollar wurden laut Wohlers Associates im vergangenen Jahr weltweit mit AM-Produkten und -Services umgesetzt, ein Plus von 26 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Besonders schnell wächst der 3D-Metalldruck: Nach Zahlen des US-Marktforschungsinstituts ID Tech Ex verdoppelt sich die Zahl weltweit installierter Systeme jedes Jahr. Und mit Marktführer EOS, Concept Laser und SLM Solutions kommen allein drei der bedeutendsten Hersteller aus Deutschland.
Aber auch bei der Anwendung ist die deutsche Industrie führend, wie eine aktuelle Untersuchung des Beratungshauses Ernst & Young (EY) zeigt, bei der 900 Unternehmen aus ausgewählten Ländern befragt wurden. Danach wird in Deutschland geschätzt knapp 1 Milliarde Euro Umsatz allein mit Produkten aus dem 3D-Druck generiert. 37 Prozent der befragten Unternehmen nutzen 3D-Druck bereits – deutlich mehr als in anderen Industrienationen wie China und Südkorea mit 24 Prozent oder den USA mit 16 Prozent. „3D-Druck ist wie gemacht für die innovative deutsche Wirtschaft“, urteilt EY-Partner Andreas Müller. Die Technologie erlaubt den Unternehmen die Herstellung kleiner Stückzahlen kostengünstiger Prototypen und die Anwendung neuer Materialien.
Dabei hat die Technologie die Nische Rapid Prototyping längst verlassen. „Wir sehen einen eindeutigen Trend weg vom klassischen Prototypenbau hin zur industriellen Vorserien- und Serienfertigung“, berichtet Güngör Kara, Director Global Application and Consulting bei EOS. „Und die Innovationsschübe erfolgen in immer kürzeren Abständen.“
Zu den Branchen, die besonders stark auf additive Verfahren setzen, zählt die Luftfahrtindustrie. Die Kombination von 3D-Druck und spanender Endbearbeitung etwa von Leichtbauteilen aus Titan verspricht große Einsparpotenziale bei Material und Bearbeitungszeit. Aber auch in der Automobilindustrie ergeben sich neue Möglichkeiten. Neuartige leichtbau- und kraftflussoptimierte Karosseriekonzepte werden denkbar, und auch das Problem der Ersatzteilversorgung ließe sich auf neue Art lösen. „Generative Verfahren oder Additive Manufacturing sind mit hohen Erwartungen verbunden“, weiß auch VDW-Geschäftsührer Dr. Wilfried Schäfer. „Insbesondere die Vision komplett neuer Wertschöpfungsketten bis hin zur individuellen Produktion von Teilen oder Ersatzteilen vor Ort stoßen auf großes Interesse.“
Potenzial sehen die Werkzeugmaschinenbauer in der Entwicklung hybrider Anlagen. Sie integrieren Funktionalität für additive Fertigung in konventionelle Maschinenkonzepte, beispielsweise Bearbeitungszentren. Eine ganze Reihe namhafter Hersteller haben sich inzwischen der Technologie zugewandt; bekannte Beispiele sind DMG Mori, Mazak und WFL (Laserauftragsschweißen), Matsuura und Sodick (selektives Laserschmelzen) sowie Hermle (thermisches Spritzen von Metallpulver). Hierdurch ergibt sich die Möglichkeit, während des Aufbauprozesses immer wieder gezielte Bearbeitungsaufgaben durchzuführen. „Um die Möglichkeiten effizient nutzen zu können, müssen die Teile jedoch völlig umkonstruiert werden“, gibt KEX-Mann Graw zu bedenken. „Dies gilt auch für die rein additiven Verfahren.“ Außerdem müssten neue Ansätze in der Fertigungsplanung etabliert werden.
Integrationsfähigkeit lässt noch zu wünschen übrig
Die Integrationsfähigkeit von AM-Anlagen in das klassische Produktionsumfeld stellt nach Ansicht der Forscher noch einen Hemmschuh dar. Viele Arbeitsabläufe erfolgten heute noch manuell. Bis zur effizienten Nutzung von AM seien viele Fragen zu lösen. Wie etwa lassen sich Pulverzufuhr, -handling und -entfernung automatisieren? Wie geht man mit der Staubbelastung der Umgebung beim „Auspacken“ der Teile um? Und wie lässt sich eine automatisierte Prozesskette für die Entfernung von Stützstrukturen realisieren?
Weitere Fragen stellen sich nach der Prozesskontrolle, der Reproduzierbarkeit und der zerstörungsfreien Prüfung der additiv hergestellten Bauteile. AM-Anlagenbauer wie EOS, Concept Laser oder SLM Solutions haben das Problem erkannt und bereits Lösungen zur Inline-Qualitätssicherung präsentiert, bei denen Sensoren den Aufbauprozess via Licht- oder thermische Emmissionen des Schmelzbads überwachen.
Zusätzliche Hemmnisse, die insbesondere kleinere Unternehmen vor der Einführung der AM-Technologie zurückschrecken lassen, sind die hohen Kosten und die mangelnde Erfahrung im Haus. Laut EY-Studie sind für 40 Prozent der Unternehmen die Einführungskosten zu hoch, 28 Prozent geben an, nicht über die dafür nötige Expertise zu verfügen, und knapp 20 Prozent fürchten zu hohe Material- und Servicekosten.
Dies werde sich jedoch bald ändern, glaubt Marktforscher Müller: „Die günstige Herstellung auch geringer Stückzahlen kann jedem Unternehmen Vorteile bringen. Wir werden in Zukunft vermehrt Anbieter sehen, die 3D-Druck ‚on demand‘ für andere Unternehmen offerieren. So müssen kleinere Unternehmen nicht selbst die Technik und die Expertise finanzieren.“ AM-Anlagenbauer wie Renishaw folgen diesem Weg: In eigenen Solution Centres bieten die Briten Fertigungskapazität und Knowhow als Service für andere Unternehmen an.
Mit der Nutzung solcher Angebote sollten hiesige Anwender nach Meinung von EY-Analyst Müller nicht zu lange warten. „Deutsche Unternehmen müssen aufpassen, dass sie sich nicht von der internationalen Konkurrenz überholen lassen“, warnt er. Hierzulande werde 3D-Druck häufig immer noch als Thema für die Forschungs- und Entwicklungsabteilung gesehen. Doch auch deutsche Unternehmen müssten sich dem Wettbewerbsdruck und steigenden Produktionskosten stellen. Die 3D-Technologie kann für sie eine kostengünstige Alternative darstellen – auch in der Produktion. Das ist der Schlüssel, um international wettbewerbsfähig und innovativ zu bleiben. ■

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