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Additive Fertigung prägt das Auto der Zukunft

Expertenrunde diskutiert neue Ansätze für Leichtbau und Flexibilität
Additive Fertigung prägt das Auto der Zukunft

Mit dem bionisch optimierten, hybrid gefertigten Spaceframe haben Edag Engineering, Laser Zentrum Nord, Concept Laser und BLM Group eine neue Perspektive aufgezeigt, wie ein wandelbares und flexibel zu fertigendes Karosseriekonzept realisiert werden kann. Kombiniert werden generativ hergestellte Karosserieknoten und intelligent bearbeitete Profile. Über den neuen Ansatz sowie das Potenzial des 3D-Drucks in der Automobilindustrie diskutierten die Projektpartner in einer Expertenrunde. Das Interview führte: Guido Radig, Fachjournalist in Bergkirchen

mav: Welche Merkmale und neuen Verfahren wurden beim Nextgen-Spaceframe-Konzept aufgezeigt?

Martin Hillebrecht (Edag): Der gemeinsam erarbeitete Stahl-Spaceframe-Knoten kombiniert generativ gefertigte Knoten auf Basis des selektiven Laserschmelzens mit intelligent bearbeiteten Profilen in Hybridbauweise. Dieser Ansatz verspricht eine extreme Flexibilisierung der Produktion sowie eine denkbare hohe Variantenintensität bei null Euro für weitere Investitionen in Vorrichtungen, Werkzeuge und Anlagentechnik pro Fahrzeugvariante. Zudem erlaubt die generative Fertigung im Hinblick auf die eingesetzten Werkstoffe eine größtmögliche Ressourceneffizienz. Außerdem ergeben sich bionische und lastpfadoptimierte Strukturen, die mit anderen Fertigungsverfahren geometrisch gar nicht herstellbar sind.
Claus Emmelmann (Laser Zentrum Nord): Das Spaceframe-Konzept vereint die Vorteile des 3D-Drucks, wie Flexibilität und Leichtbaupotenzial, mit der Wirtschaftlichkeit bewährter konventioneller Profilbauweise. In beiden Technologien spielt der Laser die zentrale Rolle. Die bionisch optimierten Knoten ermöglichen einen derzeit maximalen Leichtbau und einen hohen Grad an Funktionsintegration. Sowohl die Knoten als auch die Profile können ohne Zusatzaufwand auf neue Geometrien und Lastanforderungen angepasst werden.
Sergio Raso (BLM Group): Das Hauptmerkmal des Nextgen Spaceframe-Konzepts ist eine konsequente Ausrichtung auf extreme Flexibilität von Prozessen zur Herstellung und Montage. Additiv hergestellte Freiform-Knoten ermöglichen neue Design-Lösungen und eine Vielzahl von Varietäten an Modellen. Die Einbeziehung von bionischen Konstruktionen, Hohlbauweise oder Gitterstrukturen ermöglicht ein optimiertes mechanisches Verhalten des Rahmens. Die Integration von Merkmalen der Kraftaufnahme in den Profilen und Knoten eröffnet eine kontrollierte Verformung des Rahmens und eine erhöhte Sicherheit der Passagiere. Die Einbeziehung des AM und die Gestaltung von Schnittstellen für das Laserschweißen optimiert die Fertigung.
Frank Herzog (Concept Laser): Die Hybridbauweise kommt auch in anderen Branchen bereits zum Einsatz. Relativ einfache oder überlange Geometrien, wie hier vielleicht die Profile, werden mit der klassischen Zerspanung hergestellt, und komplexere Geometrien entstehen dann additiv. Mischbauweise ist in vielen Bereichen interessant, wenn es gilt, eine Brücke zwischen Funktion und Wirtschaftlichkeit zu bauen.
Welche Potenziale sehen Sie in Konstruktion und Fertigung?
Emmelmann: Die Potenziale der Konstruktion sind in der flexiblen, laststufengerechten Auslegung zu sehen. Und in der Chance, mit den gezeigten bionischen Strukturen einen maximal möglichen Leichtbau zu betreiben, so wie er bisher noch nicht umsetzbar war. Die Fertigung profitiert mehrfach: Nicht nur die investitionsintensiven Werkzeuge entfallen, sondern es können auch flexible Kleinserien oder auch Bauteiländerungen innerhalb des Modellzyklus ohne Mehraufwand sofort abgebildet werden.
Hillebrecht: Außerdem sind die Reaktionsfähigkeit auf Stückzahlschwankungen sowie updatefähige Bauteile während eines Fahrzeuglebenszyklus im Sinne einer lernfähigen Industrie 4.0 hervorzuheben. Das sind ganz neue Ideen für die Branche. Wir sind selbst sehr gespannt, wie unsere Kunden hierauf reagieren werden.
Raso: Das vorgeschlagene Konzept eröffnet den Designern der Automobilindustrie leichtere Lösungen, ökologischere Ansätze und verbesserte Sicherheitslösungen. In der Fertigung bedeutet die Adaption von laserbasierten Verfahren, wie additiver Fertigung von Knoten, Laserschneiden und Laserschweißen von Rohren und Profilen, ein unvergleichliches Maß an Flexibilität. Nicht zuletzt können diese Fertigungsstrategien zu einer Erhöhung der Automatisierung beitragen.
Herzog: Maschinen, welche bisher als Standd-alone-Lösungen konzipiert waren, werden im Sinne einer Smart Factory in beliebiger Anzahl miteinander vernetzt. Dabei wird es auch zu einer Automatisierung und Vernetzung additiver und konventioneller Techniken kommen, insbesondere in der Nachbearbeitung der entstandenen Bauteile. Unsere „AM Factory of Tomorrow“ deckt sich mit den Anforderungen des Industrie 4.0-Leitgedankens und wird unser Verfahren auch für die Serienfertigung von metallischen Bauteilen aus wirtschaftlicher Sicht attraktiv machen. Dieses gilt dann sicher auch für die Automobilindustrie, bei der es vornehmlich auf hohe Stückzahlen ankommt.
Welche Bedeutung hat das pulverbasierte Laserschmelzen von Metallen heute und zukünftig im Automotive-Bereich?
Emmelmann: Aktuell ist das 3D-Drucken von Metallen im Bereich des Prototypenbaus in der Automobilindustrie nicht mehr wegzudenken. Mit dem Verfahren ist es möglich, schnell und ohne die sonst üblichen hohen Werkzeugkosten voll belastbare Erprobungsbauteile herzustellen. Der Schritt in die Serienfertigung steht allerdings noch bevor. Durch die kontinuierliche Produktivitätssteigerung der 3D-Druckanlagentechnik wird dieser Schritt jedoch auch in den nächsten 5 bis 10 Jahren erfolgen.
Raso: Additive Fertigungstechniken werden heute vor allem in der Automobilindustrie für die Herstellung von Funktionsteilen in kleiner Serie eingesetzt. Allerdings sehen wir auch, wie die Luft- und Raumfahrtbranche es vormachten, dass der Übergang auf additive Fertigungsstrategien die Produkt- und Prozess-Performance signifikant erhöht.
Hillebrecht: Heute stellen die generativen Verfahren ein großes Potenzial im Prototypen- und Werkzeugbau sowie der Ersatzteilfertigung dar. In der Automobilproduktion sind diese Verfahren bisher nicht angekommen. Das liegt sicherlich auch an den hohen Preisen für Werkstoffe und Anlagentechnologien. Es würde uns freuen, wenn die Branche unsere Ideen der werkzeuglosen generativen Fertigung in Kombination mit klassischen Fertigungsverfahren aufgreifen würde. Hier liegen ja einige Chancen.
Herzog: Eine starke Annahme in Automotive ist erst dann zu erwarten, wenn man sich, wie in der Luft- und Raumfahrt, bereits in der Konstruktion auf die neuen Möglichkeiten einer additiven Fertigung einlässt. Eine reine Substitution von Teilen aus klassischen Methoden bietet wenig Vorteile. Es kommt auf eine verfahrensgerechte Konstruktion an. Diese Teile sehen dann anders aus, sind leichter und wohl oft auch leistungsfähiger.
Als logistische und kostenintensive Herausforderung gelten die Ersatzteile für Automobile. Globale Verfügbarkeit, Lagerhaltung, Lebenszyklus und Zeitdruck sind die Knackpunkte. Wie kann eine generative Fertigung die Situation verändern?
Hillebrecht: Die generative Fertigung ermöglicht es, Komponenten verteilt und an unterschiedlichen Standorten zu fertigen. So lassen sich lokale Vorteile nutzen: Varianten können zeitlich später und örtlich nahe an der Produktion entstehen. Dadurch entfallen Transport- und Logistikkosten, Komponentenvarianten sind nicht mehr zu bevorraten, und die markt- und kundennahe Produktion verkürzt die Lieferzeit.
Emmelmann: Mit der generativen Fertigung ist es möglich, nicht länger physisch Bauteile, sondern einfach CAD-Datensätze weltweit zu versenden und dann, bei Bedarf, Ersatzteile vor Ort auszudrucken. In der dezentralen Fertigung liegt eine Option, deren Auswirkungen wir nur erahnen können. Dieses Verfahren verändert die Ersatzteilversorgung radikal – Lieferzeiten werden signifikant verkürzt und Lagerhaltungskosten entfallen vollständig. Dieses Szenario wird aktuell mit der Luftfahrtindustrie aktiv umgesetzt. Damit wird der Grundstein gelegt, dieses auch auf die Automobilindustrie zu übertragen.
Raso: Autorahmen auf Basis 3D-gebogener und geschnittener Profile sowie Knoten aus additiver Fertigung werden neue Paradigmen auch für das Management von Ersatzteilen und deren Logistik ermöglichen. Vollautomatische Herstellung von Profilen und Knoten basierend auf Just-in-time-Ansätzen würde eine drastische Kostensenkung ermöglichen.
Kritiker sagen, dass die aktuellen Bauraumgrenzen und Aufbaugeschwindigkeiten die Möglichkeiten der 3D-Fertigung beschneiden. Wie bewerten Sie das?
Emmelmann: Aktuell ist die Produktivität des Prozesses für gewisse Einsatzbereiche, wie der automobilen Großserie, begrenzt. In Branchen wie der Medizintechnik oder der Luftfahrt wird das Verfahren bereits intensiv eingesetzt. Ich prognostiziere einen signifikanten Produktivitätssprung der Technologie für die kommenden Jahre und somit auch die Chance, beim Automobilbau im Bereich Großserien nach und nach attraktiv zu werden.
Hillebrecht: Die Bauräume sind heute schon ziemlich ausreichend, aber typische Werkstoffe sind noch unzureichend entwickelt und deutlich zu teuer. Wir würden uns generative Fertigungsprozesse wünschen, die eine vielleicht 100-fach höhere Aufbaugeschwindigkeit bei gleicher Oberflächengüte ermöglichen.
Raso: Die Einschränkung in Bezug auf Bauraum und Preise wird in naher Zukunft dank der Einführung neuer Lasersysteme für die additive Fertigung mit höherer Leistung und gesteigerten Aufbauraten reduziert werden. Allerdings lässt die eingeschlagene Hybridbauweise mit Knoten und Profilen für hohe Längsabmessungen schon heute einen wirtschaftlichen Ansatz erkennen.
Herzog: Die Aufbaugeschwindigkeiten haben sich bereits dank der Multilasertechnik und der zunehmenden Laserleistung stark erhöht. Es gilt aber auch genau zu beachten, dass jede neue Laserquelle die Komplexität des Prozesses und somit auch die Fehleranfälligkeit erhöht. Rein quantitative Ansätze halte ich aus heutiger Sicht nicht für primär zielführend. Wie wir mit unserem Konzept „AM Factory of Tomorrow“ zeigen, gilt es, sich auf sogenannte Totzeiten während des Produktionsprozesses zu konzentrieren, um diese letztendlich zu minimieren. Diese stehen meist in Zusammenhang mit manuellen Arbeiten in vor- und nachgelagerten Prozessstufen, wie zum Beispiel dem Zuführen von neuem Pulver oder der Nachbearbeitung der Produkte. Hier sehen wir zunächst einen viel wichtigeren Ansatzpunkt, um unser Verfahren im Sinne einer wirtschaftlichen Serienfertigung weiterzuentwickeln. Zudem stehen für uns qualitative Bemühungen im Vordergrund. Ist diese Basis sicher beherrschbar, kann man in punkto Leistung einen Schritt nach vorne gehen.
Wie sieht es denn mit der Qualität von 3D-Bauteilen aus. Wie bewerten Sie das Niveau klassischer Fertigungsmethoden gegenüber additiven Verfahren?
Hillebrecht: Standards und Qualitätsanforderungen sind durch Branchenexperten in Erarbeitung und werden sich mit Sicherheit auch an die Normen für klassische Fertigungsmethoden anlehnen.
Herzog: Fairerweise gesagt: Wir stehen noch vor einer mehr oder weniger „weißen Landkarte“, was die Additive Manufacturing-Lösungen der Zukunft betrifft. Was wir zukünftig erleben werden, ist eine „Generation 3D“: Ingenieure und Konstrukteure, die vertraut mit dem 3D-Drucken umgehen, weil junge Menschen sich heute ein Leben ohne Smartphone und Internet kaum vorstellen können. Diese „Generation 3D“ steht sicherlich in den Startlöchern, braucht aber auch konkrete Projekte, um sich zu beweisen. Ich bin aber zuversichtlich, dass sie sich ihre Themen suchen wird.
Raso: Die 3D-Lasermaterialbearbeitung ist weltweit als zuverlässige Technologie etabliert. Sie ist aus meiner Sicht in der Lage, Qualitätsstufen des Prozesses und der Produkte besser als traditionelle Fertigungslösungen zu gewährleisten. In diesem Szenario werden additive Fertigungsverfahren uns voraussichtlich noch zu einem höheren Qualitätsniveau führen. Die Technologie kann sehr gut, auf der Basis des digitalen Prozesses, in eine digitale Produktion der Zukunft integriert werden. Zusammen mit dem Thema Automation liegen hier interessante Potenziale der „Industrie 4.0“. ■
Edag Engineering GmbHwww.edag.de
Laser Zentrum Nord GmbHwww.lzn-hamburg.de
Concept Laser GmbHwww.concept-laser.de
„Additive Verfahren ermöglichen es, Komponenten verteilt und an unterschiedlichen Standorten zu fertigen. So lassen sich lokale Vorteile nutzen.“

Karosseriekonzept der Zukunft

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Die Automobilhersteller sind aktuell gefordert, die zunehmende Anzahl an Antriebskonzepten und Energiespeichersystemen in Fahrzeugstrukturen zu integrieren. Die Karosserien von morgen, speziell im Hinblick auf alternative Antriebssysteme in variantenintensiven Kleinserien, müssen nicht nur leichter, sondern vor allem hochflexibel konzipiert werden. Die Folge ist eine steigende Anzahl an Fahrzeugderivaten, die nach anpassungsfähigen und wirtschaftlich zu fertigenden Karosseriekonzepten verlangen. Die additive Fertigung könnte in absehbarer Zeit ganz neue denkbare Wege offerieren.
In einem Gemeinschaftsprojekt haben die Edag Engineering GmbH, die Laser Zentrum Nord GmbH, die Concept Laser GmbH und die BLM Group mit Spaceframe ein Karosseriekonzept entwickelt, um die zunehmende Fahrzeugvarianz durch die Vielzahl von Antriebsvarianten und Laststufen beherrschbar zu machen.
Kombiniert werden generativ hergestellte Karosserieknoten und intelligent bearbeitete Profile. Die Knoten können dank generativer Fertigung hochflexibel und multifunktional gestaltet werden, um z. B. unterschiedliche Fahrzeugvarianten ohne zusätzliche Werkzeug-, Betriebsmittel- und Anlaufkosten „On Demand“ produzieren zu können. Als Verbindungselemente dienen Profile aus Stahl. Auch diese können durch unterschiedliche Wandstärken und Geometrien individuell und einfach den vorgegebenen Laststufen angepasst werden. Der Nextgen Spaceframe ist Teil des Edag Concept Car „Light Cocoon“ – ein kompakter Sportwagen mit einer bionisch gestalteten und generativ hergestellten Fahrzeugstruktur, überzogen mit einer Außenhaut aus wetterbeständigem Textil.

Die Gesprächspartner:

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