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Intelligenz im Nebel

Fog- und Edge-Lösungen übernehmen Auswertung von Maschinendaten
Intelligenz im Nebel

Die Cloud stellt zwar wichtige Technologien für eine smarte Produktion bereit – zum Beispiel, um Daten zu analysieren. Doch häufig ist der Weg in die Wolke zu lang oder die Menge an Informationen zu groß. Mit Edge oder Fog Computing gibt es aber ein Konzept, das die Intelligenz näher an die Maschinen und Sensoren bringt. So lassen sich Netzwerkkosten sparen und die Latenz reduzieren. Dafür wächst die Komplexität. Autor: Markus Strehlitz

Vielen gilt Cloud Computing als Voraussetzung für eine intelligente Produktion. Schließlich ist nicht jedes Unternehmen in der Lage, die notwendigen IT-Kapazitäten – etwa für die Analyse von Daten – selbst bereit zu stellen. Dafür auf Systeme aus der Cloud zurückzugreifen statt sie im eigenen Haus zu installieren, scheint daher als ideale Lösung.

Doch je weiter die Vernetzung in der Fabrikhalle fortschreitet, desto näher kommt dieses Konzept seinen Grenzen. Eine Unmenge von Geräten sorgten für eine Masse an Daten, die in die Cloud übermittelt werden müssen, sagt Tadaaki Mataga, Analyst und Cloud-Computing-Experte beim Marktforschungshaus Gartner. Und diese verursachten einen großen Traffic und hohe Netzwerkkosten.
Die Datenmenge lässt sich jedoch reduzieren, wenn ein Teil der Intelligenz näher an die Maschinen rückt – also dort, wo die Informationen entstehen. Will heißen: Spezielle Mini-Recheneinheiten übernehmen eine Vorverarbeitung der Daten. Von diesen muss dann nur noch ein Teil in die Cloud geschickt werden.
Dieser Ansatz hat einen Namen beziehungsweise zwei: Fog oder Edge Computing. Schließlich ist Nebel – also Fog – auch nur eine Wolke, die sich näher am Boden befindet. Und die entsprechenden Systeme befinden sich am Rande des Netzwerks – englisch: Edge.
Funktionen, wo sie benötigt werden
Beim Thema Edge und Fog gehe es darum, Funktionen dort ablaufen zu lassen, wo sie benötigt werden, sagt Michael Stiller, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bereich Industriekommunikation beim Fraunhofer-Institut für Eingebettete Systeme und Kommunikationstechnik (ESK). Sein Institut hat eine Referenzarchitektur für die Kommunikation im Industrial Internet of Things entworfen, welche die Funktion des Edge Computing verdeutlicht. Die Architektur besteht aus zwei Bereichen: dem globalen und dem lokalen Bereich. Bei letzterem werden die physischen Geräte mit einer logischen Informationsebene vernetzt – dem Edge Computing. Im globalen Bereich werden dann die Dienste und Anwendungen des Edge Computing mit denen verknüpft, die in der Cloud zur Verfügung stehen.
„Edge Computing ist quasi das Bindeglied zwischen einem lokalen und einem weltweiten Netz. An diesem Übergang stellen Edge-Systeme Ressourcen wie Speicher, Caching, Computer-Rechenleistung und Kommunikationsfähigkeit bereit“, erklärt Stiller. In einem White Paper des Fraunhofer ESK zur Referenzarchitektur ist ein Anwendungsbeispiel genannt: ein software-basierter Instandhaltungsdienst, der Hinweise gibt, wann die nächsten Wartungsarbeiten zu erledigen sind.
„Aus Edge, Fog und Cloud ergibt sich eine sehr flexible Architektur, in der bestimmte Anforderungen wie etwa die Latenz berücksichtigt werden“, sagt Stiller. Denn Edge und Fog Computing reduziert nicht nur den Datenstrom, der in die Cloud fließt. Entsprechende Lösungen gewährleisten auch die Latenz, die gerade für Produktionsanwendungen entscheidend ist. Wenn Maschinen im Mikrosekunden-Bereich reagieren müssen, reicht die Zeit nicht aus, um die Daten in ein Rechenzentrum in der Wolke zu übermitteln, diese dort zu analysieren und das Ergebnis zurückzuschicken. Da hilft es, wenn Informationen – zum Beispiel von Positionssensoren – lokal ausgewertet und die darausfolgenden Reaktionen direkt vor Ort angestoßen werden können.
Ein weiterer Vorteil: Da nicht alle Daten übermittelt werden, können besonders sensible Informationen innerhalb der eigenen Infrastruktur bleiben. Gerade für Unternehmen, die ihre Daten ungern in die Cloud geben, weil sie befürchten, dass diese dort ausspioniert werden könnten, stellt Edge oder Fog Computing somit eine Alternative dar.
Wer von diesen Vorteilen profitieren möchte, dem stehen mittlerweile eine Reihe verschiedener Lösungen zur Verfügung. Entsprechende Systeme gibt es unter anderem von den klassischen IT-Anbietern.
So hat zum Beispiel HPE mit der Produktfamilie Edgeline mehrere Server und Gateway-Systeme im Angebot. Zusammen mit Partnern wie etwa PTC und National Instruments hat der IT-Anbieter Lösungen entwickelt, mit denen sich zum Beispiel Fehler frühzeitig erkennen und korrigieren lassen sollen.
Cisco stellt unter dem Namen IOx eine Plattform bereit, auf der sich Fog-Computing-Anwendungen entwickeln und administrieren lassen. Auf einem eigenen App-Store sind außerdem entsprechende Applikationen verfügbar.
Ein feiner Unterschied
Bei den Angeboten, die sich auf dem Markt befinden, werden die Begriffe Fog und Edge häufig synonym verwendet. Tatsächlich gibt es jedoch einen feinen Unterschied. Fog-Systeme sind quasi kleine Rechenzentren. Diese so genannten Fog Nodes sitzen auf Ebene des lokalen Netzwerks, die eine Teilauswertung der Daten vornehmen und diese für den Weg in die Cloud vorbereiten.
Bei Edge bewegt sich die Intelligenz noch weiter in Richtung Sensorik. Beispiel dafür ist die Plattform Mica von Harting. Mit dem modularen System aus Hard- und Software werden Funktionen, Daten zwischenzuspeichern und zu verarbeiten direkt an die Maschine gebracht. Mica passt laut Hersteller auf die Hutschiene im Schaltschrank oder fügt sich dezent direkt an Maschinen und Anlagen.
Unabhängig davon, ob ein Anbieter die Begriffe Fog und Edge als Synonyme oder getrennt voneinander verwendet – beiden liegt das gleiche Konzept zugrunde: den Datentransfer in die Cloud zu entlasten, indem Daten schon teilverarbeitet werden. „Edge und Fog können getrennt voneinander eingesetzt werden“, erklärt Gartner-Analyst Mataga, „sie lassen sich aber auch als Teile einer gemeinsamen Architektur nutzen.“
Allen Systemen gemein ist, dass sie die Intelligenz mithilfe von Virtualisierung umsetzen. Ein primäres Betriebssystem kümmert sich um die Kernfunktionen des jeweiligen Geräts, auf einem zweiten können die entsprechenden Anwendungen installiert werden – zum Beispiel um Sensordaten auszuwerten oder Steuerbefehle abzusetzen.
Auf dieser Basis arbeitet auch eine Lösung, die Siemens für seinen Ruggedom Router RX1400 anbietet. Das System mit dem Namen Ruggedcom Virtual Process Engine VPE1400 besteht aus einer Software, die im Router eine eigene Partition für eine virtuelle Umgebung schafft. Nutzer können in dieser ein Linux-Betriebssystem installieren und selbst erzeugte oder von Dienstleistern erstellte Programme aufspielen. So lassen sich zum Beispiel Sensordaten, die sonst vom Router weitergeleitet werden, vor Ort analysieren.
Durch die getrennten Partitionen ist sichergestellt, dass die Programme zu keinem Zeitpunkt die eigentliche Routerfunktion beeinträchtigen. Über die virtuelle Umgebung können Anwendungen laut Siemens über alle Netzwerkkomponenten an den Router andocken – via LTE, Kupfer, Glasfaser sowie mit seriellen Übertragungsschnittstellen. Dank spezieller Anwendungsschnittstellen lassen sich außerdem Geräte einbinden, die in Scada-Systeme zur Steuerung und Überwachung integriert sind.
Viele verschiedene Anbieter engagieren sich
Die Beispiele Siemens und Harting zeigen, dass Edge und Fog Computing nicht das alleinige Terrain der IT-Spezialisten ist. So hat zum Beispiel Bosch mit seiner Venture-Capital-Tochter in Foghorn Systems investiert. Der US-Anbieter stellt eine Software her, mit der Unternehmen Fog-Computing-Anwendungen umsetzen können.
Automatisierer wie Fanuc oder Kuka haben ebenfalls erkannt, dass die Vorteile des Technologie-Konzepts künftig für viele Anwender interessant werden können. So hat sich Kuka gemeinsam mit dem IT-Anbieter TTTech an Nebbiolo beteiligt. Das Startup-Unternehmen bietet modulare, echtzeitfähige Geräte, die als Fog-Knotenpunkte fungieren. Die Kooperation hat laut Roboterhersteller Kuka das Ziel, fog-fähige Produkte und Dienstleistungen bereit zu stellen, die eine Brücke zwischen der IT- und der Industriemaschinen-Welt schlagen sollen.
Fanuc hat sich mit Cisco, Rockwell Automation und Preferred Networks zusammengetan. Die Unternehmen bringen ihre Technologien in eine integrierte Automatisierungslösung mit der Bezeichnung Field ein. Mithilfe der Plattform sollen sich die Daten aus Werkzeugmaschinen, Robotern und Sensoren miteinander verknüpfen und analysieren lassen. Field ist laut Fanuc offen konzipiert, so dass Anwendungsentwickler, Systemintegratoren oder Sensorhersteller Lösungen für die Plattform erstellen können.
Das Besondere an Field ist laut Mataga nicht nur das Edge- und Fog-Computing-Konzept, sondern auch die künstliche Intelligenz (KI), mit der die Plattform ausgestattet ist. Dank der integrierten Deep-Learning-Technologie von Preferred Networks sind die angebundenen Roboter fähig, selbstständig zu lernen. Mataga berichtet von einer Field-Vorführung, in der ein Bin-Picking-Roboter innerhalb von acht Stunden in die Lage versetzt werden konnte, auf dem Level eines Menschen zu agieren.
Field wird nicht die einzige Lösung bleiben, die solche Möglichkeiten bietet. Die Einbindung von KI-Technologien würde in künftigen Edge/Fog-Anwendungen eine zunehmend starke Rolle spielen, glaubt Mataga.
Eine Anwendung für ein verteiltes System
Die Anbieter von Edge und Fog Computing versprechen zwar viele Vorteile. Doch noch steht man bei diesen Technologien am Anfang. In der Industrie stünden noch viele Diskussionen und Proof of Concepts zu dem Thema an, meint Mataga.
Schließlich bringt Edge und Fog Computing auch Herausforderungen. Dazu zählt laut Stiller die Komplexität. Diese ergebe sich dadurch, dass mehrere Komponenten involviert seien. „Man hat zum Beispiel eine SPS, noch eine, noch eine und so weiter. Das können je nach Produktionsanlage 20 oder mehr sein“, erklärt Stiller, „und diese werden heute alle einzeln programmiert und müssen aufeinander abgestimmt werden.“ Die Herausforderung bei Edge und Fog Computing sei, für ein verteiltes System eine Anwendung zu schreiben.
„Die Leute, die sich im Rechenzentrum mit Load Balancing oder Parallelverarbeitung beschäftigen, haben das gleiche Problem“, so Stiller weiter. Und von dort würden diese Themen in den kommenden Jahren auch auf das Thema Fog und Edge überschwappen.
Man werde versuchen müssen, diese Problematik mithilfe von Engineering-Werkzeugen in den Griff zu bekommen. „Es gibt bereits viele Forschungsprojekte, die genau in diese Richtung gehen.“
Daneben forscht das Fraunhofer ESK weiter an seiner Referenzarchitektur. Unter anderem geht es darum, offene Protokollstacks zwischen Edge- und Cloud-Computing-Ebene für die Produktionssteuerung in der Wolke zu entwickeln.
Für künftige Dienste und Anwendungen wird es darum gehen, Funktionen zwischen Fog/Edge und Cloud Computing aufzuteilen. „Hierbei spielen technische Aspekte der Quality-of-Service – hier vor allem Echtzeitanforderungen bei Diensten – aber auch organisatorische wie zum Beispiel die autonome Handlungsfähigkeit im Falle eines Netzausfalls oder verfügbare Service-Level-Agreements eine Rolle“, heißt es im White Paper des Fraunhofer ESK.
Für die intelligente Produktion der Zukunft hat die Arbeitsteilung zwischen der Cloud und der lokalen Ebene trotz der Herausforderungen, die damit einhergehen, eine große Bedeutung. „Wir glauben, dass Fog Computing ein grundlegendes Element für Industrie 4.0 darstellt, da eine skalierbare Middleware-Schicht notwendig ist“, sagt Christian Schlögel, CTO von Kuka. Das Internet der Dinge starte „at the Edge“. ■

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