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Geometriefehler kompensieren

Achtung, Werkzeugmaschinen mit VCS können genauer sein!
Geometriefehler kompensieren

Mit der neuen CNC-Funktionalität „Volumetric Compensation System“ (kurz VCS) lassen sich erstmals sämtliche Geometriefehler einer Werkzeugmaschine einfach, zuverlässig, schnell und integriert kompensieren. Für Maschinenhersteller und -betreiber bietet dies eine neue und sehr wirksame Möglichkeit, allein durch steuerungstechnische Maßnahmen die Maschinen- und damit die Fertigungsgenauigkeit zu erhöhen. In der Praxis erspart dies die mechanische Nachbearbeitung bei der Justage und reduziert Stillstandszeiten, da der Prüfaufwand deutlich reduziert wird. Aufgrund der langen wirksamen Hebel profitiert besonders die Genauigkeit von Großmaschinen.

Autor: Jochen Bretschneider, Siemens AG

Geometriefehler an Werkzeugmaschinen
Jede Werkzeugmaschine weist geringfügige systematische Geometriefehler im Führungssystem der Vorschubachsen auf. Bei Linearachsen sind dies lineare Positionsfehler, horizontale und vertikale Geradheitsfehler, außerdem Rollen, Nicken und Gieren. Weitere Fehler treten in der Ausrichtung der Maschinenkomponenten zueinander auf, z. B. als Rechtwinkligkeitsfehler. Bei einer 3-achsigen Maschine sind es bereits 21 Geometriefehler, die sich am Werkzeughalter aufsummieren: sechs Fehlerarten je Linearachse mal drei Achsen plus drei Rechtwinkligkeitsfehler = 21. Bild 1 zeigt die Zusammenhänge. Doch damit nicht genug: Auch Rundachsen, z. B. von Drehschwenkköpfen, weisen systematische geometrische Fehler auf. Dies sind die Lage jeder der beiden Rundachsen, ihr gegenseitiger Versatz, die Orientierung des Werkzeugträgers – und letztlich die Positionsabweichungen jeder Rundachse.
Lange Hebel machen minimale Fehler schmerzlich spürbar
Jeder dieser systematischen Fehler tritt tatsächlich auf. Die einzelnen Abweichungen überlagern sich zu einem Gesamtfehler, der volumetrischer Fehler genannt wird (Definition siehe Textkasten). In Großmaschinen kann der Fehler bei ungünstigen Konstellationen der Achspositionen die Größenordnung von mehreren 100 Mikrometer erreichen. Dies liegt an den – speziell bei großen Portalfräsmaschinen – sehr langen wirksamen Hebeln.
Die Möglichkeit, dass Fehler dieser Größenordnung im Werkstück auftreten, macht aufwändige und zeitraubende Qualitätssicherungsmaßnahmen erforderlich. Es lohnt also, sich näher mit der Ursache volumetrischer Fehler und mit ihrer Kompensation zu beschäftigen.
Messungen im gesamten Arbeitsraum nötig
Feststellen lassen sich volumetrische Fehler mit modernen Laser-Messgeräten verschiedener Hersteller, z. B. im Rahmen von Mess-Dienstleistungen. Dazu müssen alle Maschinenfehler im gesamten Bearbeitungsraum vermessen werden. Das Vermessen einzelner Maschinenfehler genügt nicht. Aufgenommen werden immer ganze Messkurven, da die einzelnen Fehlergrößen abhängig von der Position der jeweiligen Vorschubachse und vom Messort sind. Zum Beispiel fallen der X-Achse zugeordnete Fehler an ein und derselben X-Position anders aus, wenn die Y- und Z-Achse eine andere Position einnehmen.
Der Aufwand für das komplette Vermessen der Maschine bleibt trotz der vergleichsweise hohen Zahl von 21 zu erfassenden Fehlern überschaubar. Erstens ermöglichen moderne Laser-Messsysteme einen hohen Automationsgrad der Messabläufe. Zweitens unterstützt eine moderne CNC-Steuerung wie die Sinumerik 840D sl von Siemens Industry selbst aktiv einen Teil des Messvorgangs.
CNC-seitige Kompensationen an WZM
Stand der Technik im Bereich CNC-gesteuerter Werkzeugmaschinen ist die axial wirkende Spindelsteigungsfehlerkompensation. Steuerungen der Reihe Sinumerik 840D bieten darüber hinaus die Cross-Error-Kompensation. Sie wirkt achsübergreifend und ist individuell anwählbar. Mit ihr lässt sich z. B. ein Durchhangfehler sicher kompensieren. „Aber eben längst nicht alle 21 Geometriefehler der Vorschubachsen im gesamten Arbeitsraum“, stellt Herr Häberer, Leiter Geschäftsfeld Werkzeugmaschinen bei Siemens, heraus.
„Volumetric Compensation System“
Genau diese Schwachstelle wird nun mit der neuen Funktionalität „Volumetric Error Compensation (VCS)“ der CNC Sinumerik 840D sl behoben.
Für 3-Achsmaschinen korrigiert VCS den volumetrischen Positionsfehler des Werkzeugs. Bei 5-Achsmaschinen kompensiert VCS in Interaktion mit der bewährten Traori-Funktionalität der Sinumerik zusätzlich den Orientierungsfehler des Werkzeugs – was bei 3-achsigen Maschinen aufgrund der fehlenden Orientierungsachsen nicht möglich ist (Bild 3). Dieses wertvolle Add-on für 5-Achsmaschinen nennt Siemens VCS-Orientierungskompensation.
Vor der Inbetriebnahme der Steuerungsoption VCS werden alle 21 Geometriefehler der Linearachsen vermessen. Dies leisten z. B. sog. Sinumerik Solution Partner als Kalibrierdienstleistung mit Hilfe von Laser-Messgeräten. Die dabei erstellten Fehlerkurven werden in eine VCS-Datei konvertiert und auf der Sinumerik 840D sl hinterlegt (Bild 4). Anwender der Laser-Messtechnik von Renishaw, API und Etalon können dabei auf Softwaretools der jeweiligen Hersteller zurückgreifen. Diese Tools übernehmen die komfortable, schnelle und zuverlässige Konvertierung der einzelnen Messkurven in das VCS-Dateiformat der Sinumerik-CNCs.
Die Fehler der Rundachsen sind mit Hilfe des Sinumerik-Zyklus 996 „Kinematik vermessen“ in nur wenigen Minuten ermittelt. Für ihre Kompensation genügt es, sie auf Knopfdruck in die Traori-Maschinendaten zu übernehmen.
Nach Aktivierung beider Funktionen VCS und Traori ist nun die Genauigkeit der Maschine im gesamten Arbeitsraum gesteigert.
Fehlerreduktion ohne Performance-Einbuße
Die maximal erzielbare Fehlerreduktion hängt dabei von individuellen Gegebenheiten der Maschine und ihren Einsatzbedingungen ab. So ist der Erfolg der Kompensation umso größer, je exakter die einzelnen Fehler reproduzierbar sind und je geringer die Umkehrspannen der Achsen oder Spiele in der Mechanik sind. Außerdem ist eine klimatisierte Fertigung Grundvoraussetzung für eine dauerhaft gesteigerte Genauigkeit. Im Übrigen hat VCS beim Einsatz einer leistungsfähigen Steuerung Sinumerik 840D sl keinen spürbaren Einfluss auf die Produktionsleistung der Maschinen. Die Bearbeitungszeit ist mit und ohne VCS die gleiche (Bild 4).
VCS im praktischen Einsatz
Beim italienischen Maschinenhersteller Breton wurde VCS an einer 5-achsigen Flymill vom Typ 1000/2T DD K20 eingehend getestet. Dass die geforderten Genauigkeitswerte sicher eingehalten werden, stand für Herrn Andorlini, Product Development Manager bei Breton, außer Zweifel: „Bei Breton werden in sämtlichen Fertigungsschritten strenge Qualitätskontrollen durchgeführt, um die Maschinen von vornherein genau zu machen. So werden alle wesentlichen Maschinenkomponenten auf einer 3D-Koordinatenmessmaschine geprüft und gegebenenfalls korrigiert. Die Genauigkeit der einzelnen Maschinenkomponenten wie Brücke, Z-Schieber oder DD-Kopf und anderen wird dadurch sichergestellt, dass die Fertigung in klimatisierten Räumen mit einer maximalen Temperaturschwankung von +/- 1 Grad stattfindet. Alle vorgegebenen Fertigungs- und Montagetoleranzen werden in bewährter Weise von besonders qualifizierten Facharbeitern durch händisches Schaben sichergestellt. Und auch die abschließende Maschinenmontage und die Abnahmetests für jede gefertigte Maschine finden in einer auf +/- 2 Grad klimatisierten Halle statt. Jede Maschine wird streng nach den Genauigkeitsstandards ISO 230 und VDI 3441 DGQ abgenommen.“ (Bild 5)
Die Vermessung der geometrischen Fehler der Breton Flymill übernahm ein Expertenteam der Renishaw GmbH in Pliezhausen. Dr. Krug, Technischer Leiter bei Renishaw: „Wir haben unser Standard-Equipment, den neuen Laser-Interferometer XL-80 mit den Optiken für Position, Rotation und Translation sowie den bewährten Kreisformtest QC10 eingesetzt. Damit waren die geometrischen Fehler der Flymill nach nur zwei Tagen komplett vermessen und die VCS-Kompensationsdatei für die Sinumerik 840D sl erzeugt.“
Dann wurden die Funktionen VCS und Traori an der Sinumerik 840D sl aktiviert und die Maschine im nun kompensierten Zustand erneut komplett vermessen. Bild 6 zeigt die exzellente Verringerung der translatorischen Fehler sowie der Rechtwinkligkeitsfehler. Obwohl sie bei dieser Maschine bereits vor Kompensation bemerkenswert gering waren, erzielte VCS eine weitere durchschnittliche Verbesserung von 80 Prozent. Auch die rotatorischen Fehler waren deutlich reduziert.
Dr. Krug von Renishaw schwärmt: „Bislang konnten unsere Kunden mit unserem Mess-Equipment die Fehler nur feststellen – ohne damit bereits eine direkte Möglichkeit zur Verbesserung zu haben. Die Anwender, die eine Sinumerik 840D sl als Maschinensteuerung einsetzen, können die von uns gemessenen Fehlerkurven nun direkt zur volumetrischen Kompensation nutzen.“
Dazu hat Renishaw in enger Abstimmung mit Siemens einen automatischen Konverter entwickelt, der die mit dem XL-80 aufgenommenen Daten einfach und zuverlässig in das VCS-Format konvertiert.
Weitere Verbesserungen erreicht
In weiteren Tests wurde VCS von Breton auf Herz und Nieren geprüft und mit den standardmäßig eingesetzten CEC-Tabellen verglichen. Die Überprüfung der Positioniergenauigkeit auf der Raumdiagonalen nach Bild 8 brachte weitere Verbesserungen auf die von Breton ohne VCS erreichten Werte.
Eine deutliche Verbesserung zeigte sich in den Renishaw-Kreisformtests, die in allen drei Raumebenen ausgeführt wurden. So wurde in der Y-Z-Ebene eine Verringerung des Rechtwinkligkeitsfehlers von 8,6 µm/m auf 0,1 µm/m erzielt – mit der Folge, dass der Kreis nun wie ein Kreis aussieht. Die Kreisformabweichung verbesserte sich dabei von 24 µm auf 18 µm.
Herr Häberer vom Siemens-Geschäftsgebiet Motion Control Systems dazu: „Bei Kreisformtests zeigt sich die Leistungsfähigkeit von VCS sehr deutlich – wenn man nämlich die Kreisformtests an einer anderen Stelle des Arbeitsraumes wiederholt. Die herkömmlichen Kompensationsfunktionen bewirken eine gute Kreisform an der standardmäßig verwendeten Messposition. An anderen, sozusagen ‚unbekannten’ Messpositionen im Arbeitsraum sehen die Kreise dann jedes Mal komplett anders aus. Mit VCS wird dagegen überall eine gleichbleibend gute Verbesserung erzielt. Das ist ein Beweis dafür, dass VCS den volumetrischen Fehler im gesamten Arbeitsraum zuverlässig kompensiert.“

Die Stimme des Kunden
Für Herrn Andorlini von Breton steht fest: „Mit der VCS-Software kann die CNC nicht nur den bekannten Positionsfehler jeder Achse, sondern darüber hinaus dynamisch die geometrischen Fehler im gesamten Arbeitsraum kompensieren. Für den Maschinenbauer bedeutet dies, dass statuierte Maschinengenauigkeiten mit weniger Schabaufwand zu erreichen sind, oder was der Test bewiesen hat, dass die Maschinengenauigkeit über die festgesetzten Standards hinaus erhöht werden kann. Die VCS Software eignet sich sehr gut, um die Maschinengenauigkeit im Arbeitsraum zu erhöhen und um höchste Präzision an der Werkzeugspitze bei der 5-Achsbearbeitung zu erhalten. Die VCS-Software ist einfach zu installieren. Mit dem Renishaw-Mess-Equipment können auch unsere Techniker die VCS-Parameter beschreiben. Die Zeit für die Inbetriebnahme wird auf wenige Stunden reduziert.“
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