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Digitalisierung im Maschinenbau

▶ CHANCEN NUTZEN, RISIKEN ERKENNEN UND VERMEIDEN
Digitalisierung im Maschinenbau

Die Auslastung der deutschen Werkzeugmaschinenbranche verharrt – nach einer leichten Abkühlung des Geschäfts – auf einem gleichbleibend hohen Niveau. Fast hat man den Eindruck, der Branche wird durch diese Wachstumspause etwas Zeit gegeben, um über ihre künftige Ausrichtung nachzudenken.

Das Institut für Produktionstechnik und spanende Werkzeugmaschinen (PTW) der TU Darmstadt hat aus diesem Anlass eine Befragung führender Werkzeugmaschinenhersteller durchgeführt. Aus dieser Befragung sowie aus der eigenen Forschungsarbeit in den Lernfabriken des PTW ergeben sich einige Einsichten, v. a. was die Produktion im Digitalen Zeitalter angeht:
Die Herausforderung in der Werkzeugmaschinenproduktion liegt in der Bewältigung steigender Sonderkonstruktionsanteile.
Dies gilt insbesondere für die kundenindividuelle Anpassung von Serienmaschinen. Jedoch sind die Arbeitsabläufe dieser Sonderanteile in der Arbeitsvorbereitung bislang nur mit hohem Aufwand abzubilden. Arbeitsfortschritt und Materialbereitstellung erfolgen meist nicht getaktet, sondern per „Push“-Prinzip. Ohne Standardvorgaben zu Zeiten und Reihenfolgen können Probleme, die zu zeitlichem Mehraufwand, Nacharbeit und verspäteter Lieferung führen, nur schwer aufgedeckt werden. Schlanke Produktion wird heute in der Werkzeugmaschinenbranche mehrheitlich als Fließproduktion (miss-)verstanden. Wo große Arbeitsinhalte und eine hohe Vielfalt Fließen und Takten erschweren, erschöpfen sich die „Lean“-Aktivitäten durch „5S“ und eine verbesserte Ergonomie. Ohne Vorgaben durch Standards wird jedoch die Chance zur systematischen, mitarbeitergetragenen Verbesserung vergeben, da Abweichungen nicht systematisch erkannt werden. Dies haben einige Vorreiter der Branche erkannt und führen im Rahmen des sogenannten „Shop Floor Managements“ Abweichungsmanagement und systematische Problemlösung ein.
Die schlanke Produktion bleibt im Vergleich zu Industrie 4.0 weiterhin das führende System.
Viele Unternehmen haben bereits Erfolge durch die schlanke Produktion realisieren können und fragen sich, wie es nun im Industrie-4.0-Zeitalter weitergeht. Die Vor-Ort-Analysen des PTW zu Potenzialen der Digitalisierung zeigen, dass sie dort zu früh kommt, wo Prozesse instabil sind, keine Standards existieren und grundlegende Kenngrößen fehlen. Erst wenn ein Team die Denkweise der schlanken Produktion verstanden hat und ihre Instrumente souverän anwendet, wird Digitalisierung für den nächsten Produktivitätsschub sorgen.
Zudem kann Digitalisierung nicht den wertorientierten Ansatz der schlanken Produktion ersetzen, also das Fördern von Mitarbeitern durch gezieltes Fordern, das Führen vor Ort und die Philosophie ständiger Verbesserung durch systematische Problemlösung. Abbildung 1 zeigt grundlegende Entwicklungsstufen einer digitalen Weiterentwicklung der schlanken Produktion.
Die schlanke Produktion wird durch die fortschreitende Digitalisierung auch im Nicht-Serienbereich Einzug finden.
Die Digitalisierung gibt Maschinenbau-Unternehmen die Möglichkeit, den Werker bei großen Arbeitsumfängen vor Ort zu unterstützen. Arbeitsanweisungen können „aus dem Baukasten“ für das zu montierende Produkt konfiguriert werden. So kann die für das Abweichungsmanagement wichtige Standardarbeit auch bei hohen Sonder-Anteilen umgesetzt werden. Damit einher geht der verstärkte Einzug vernetzter Endgeräte (bspw. Tablets, Smart Glasses) in der Logistik und der Montage. Papier wird so in der Produktion immer stärker durch vernetzte, elektronische Medien ersetzt.
Das Produkt wird seinen Produktionsprozess kennen und steuern können (alles Weitere bleibt Vision). Dies ist mit den zur Verfügung stehenden Technologien schon heute möglich und wird bald – ganz unspektakulär – Eingang in die Werkzeugmaschinenbranche finden. Im Zusammenspiel mit mobilen Endgeräten kann so Stückzahl eins zu Serienbedingungen produziert werden. In der Lernfabrik des PTW können sich bereits führende Bauteile eines Produkts an Arbeitsplätzen identifizieren, dort die Konfiguration ihrer Arbeitsanweisung auslösen, das zugehörige Schraub- oder NC-Programm auswählen und die Teileentnahme steuern.
Die gezielte digitale Aufrüstung der Wertkette ermöglicht neue Geschäftsmodelle.
Bei der Frage nach der Digitalisierung lassen sich zwei grundlegende Stoßrichtungen unterscheiden. Einerseits die Effizienzsteigerung der eigenen, internen Prozesse, andererseits das Erzeugen zusätzlichen Kundennutzens. Wo durch die Digitalisierung interner Prozesse dem Kunden neue Leistungen angeboten werden können und ein entsprechendes Bezahlmodell neuen Umsatz generiert, entsteht ein neues Geschäftsmodell. Ein Beispiel: Ein Hersteller von Hydraulikpumpen kann seinen Kunden Pumpen mit individueller Befestigung bei kürzester Lieferzeit anbieten, da die Kundenspezifikation aus dem internetbasierten Produkt-Konfigurator direkt in ein NC-Programm für die Fertigung der Grundplatte übertragen wird. Die Kalkulation erfolgt direkt im Konfigurator.
Die Produktion erlebt durch die Digitalisierung v. a. neue Möglichkeiten, die Marktseite kann disruptiv sein. Zeit, Qualität und Kosten bleiben in der Produktion die beherrschenden Themen. Flexibilität und Individualität kommen hinzu. Der Einsatz der Digitalisierung sollte zunächst an den Stationen eines Wertstroms erfolgen, die im Wettbewerb den Unterschied machen. So kann Produktion am Standort gesichert werden oder gezielt ein Wettbewerbsvorteil aus der Produktion heraus aufgebaut werden.
Auf der Marktseite besteht das Risiko, dass Organisationen keine „Antenne“ für neue, digitale Ansätze haben, die ihr bestehendes Geschäft bedrohen und möglicherweise sogar ersetzen. In einer Organisation, deren Fokus auf dem effizienten Betreiben und Verteidigen bestehender Geschäftsmodelle liegt, sind daher angemessene Freiräume für solche Ideen zu schaffen, die außerhalb der routinemäßigen Auftragsabwicklung liegen.
Insgesamt gilt eine neue Logik: das Produkt wird zum „Vehikel“ der Nutzenversorgung und der fortlaufenden Interaktion mit dem Kunden. Die Vernetzung ist zu nutzen, um zusätzliches Geschäft zu generieren. Hier beschäftigt sich die Branche v. a. mit den Themen Condition Monitoring und prädiktive Instandhaltung, ohne jedoch bisher einen Durchbruch in Richtung eines Geschäftsmodells erzielt zu haben. Die Preisgabe von Prozessdaten durch den Kunden, die Kosten der Prädiktion sowie die (ausreichende) Zuverlässigkeit der Ausfallvorhersage sind zu klären und in Einklang zu bringen, bis für den Kunden ein signifikanter Kostenvorteil entsteht.
Die Digitalisierung der Produktion braucht einen integrativen, gestalterischen Ansatz – IT-Administration allein reicht nicht mehr aus.
Die Lernfabrik des PTW ist wie die Produktion eines typischen Mittelständlers ausgestattet: Es gibt Maschinen mit Steuerungen unterschiedlicher Hersteller und aus unterschiedlichen Anschaffungsjahren. Handarbeitsplätze sind mit Schraubsystemen und teilautomatischen Prüfeinrichtungen ausgestattet. Die ersten „Gehversuche“ in Richtung Industrie 4.0 waren mit Ernüchterung verbunden: Schnittstellen waren inkompatibel, Geräte nicht ansteuerbar, Steuerungen nicht zugänglich und Bandbreiten zu klein.
Es wurde viel Zeit an „Digitalisierungsbaustellen“ verschwendet durch Mitarbeiter, die hierfür keine Ausbildung hatten. Noch schlimmer: Die höchst erfahrene IT-Administration konnte und wollte die aufgebauten Lösungen nicht unterstützen. Ähnliches geschieht in vielen mittelständischen Produktionsbetrieben, die sich des Themas annehmen. Um die Veränderungsgeschwindigkeit zu steigern und teure Fehler zu vermeiden, braucht es künftig produktionsnahe IT-Systemintegratoren, die Maschine, Sensorik, Schnittstellen, Datenspeicherung und -aufbereitung sowie mobile Endgeräte aus Sicht des Produktionsprozesses miteinander verbinden können. Eine höchst anspruchsvolle Aufgabe!
Mitarbeiterkompetenz wird ebenso wichtig sein, wie Technologieeinsatz.
Schon heute ist klar, dass es einen steigenden Bedarf an Mitarbeitern geben wird, die digitale Systeme in der Produktion erdenken und umsetzen. Gleichzeitig wird von immer mehr Mitarbeitern Kompetenz in der täglichen, souveränen Anwendung dieser Systeme verlangt. Beide Gruppen sind entsprechend zu qualifizieren. Unternehmen müssen sich fragen, wie sie ihre Belegschaft auf dem Laufenden halten, bzw. wer ihr Partner in diesem Transformationsprozess sein wird.
Technische Universität DarmstadtInstitut für Produktionsmanagement, Technologie und Werkzeugmaschinen

Der Autor
Prof. Dr.-Ing. Dipl.-Wirtsch.-Ing. Joachim Metternich, Institutsleiter, Institut für Produktionsmanagement, Technologie und Werkzeugmaschinen, Technische Universität Darmstadt.
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