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Die autonome Autofabrik

Losgröße 1 – die völlig individuelle Produktion nach Kundenwunsch
Die autonome Autofabrik

Die autonome Autofabrik
Die Montage der Zukunft ist nicht mehr zentral gesteuert, sondern selbstorganisiert und dezentral. Bild: Rainer Bressel
Die Produktion der Zukunft steuert sich selbst. Wie das gehen kann, untersuchen Fraunhofer-Forscher mit Partnern im Projekt Smart Face. Das Vorhaben wird vom BMWi gefördert und ist Teil des Technologieprogramms Autonomik für Industrie 4.0. Autor: Bernd Müller, Fraunhofer-Gesellschaft

Die Automobilindustrie steht vor einem Zielkonflikt: Einerseits soll die Produktion so kosteneffizient wie möglich sein – das geht am besten mit einer hoch ausgelasteten Fließbandfertigung und maximaler Automatisierung. Unter der starren Verkettung des Fließbandes leidet jedoch die Wandlungsfähigkeit der Fabrik. Andererseits soll auf die steigende Nachfrage nach individuell ausgestatteten Fahrzeugen flexibel reagiert werden können. Wenn Käufer vom Muster der Sitzpolster bis zur Auslegung des Fahrwerks eigene Wünsche verwirklichen wollen, kommt man bei manchen Automodellen auf bis zu 1025 unterschiedliche Varianten. Losgröße 1, die völlig individuelle Produktion nach Kundenwunsch, spielt in der Automobilindustrie eine immer größere Rolle – erst recht, wenn künftig auch noch die Nachfrage nach Elektrofahrzeugen wächst. Die individuelle Fahrzeugproduktion in Kleinserien ist eine komplexe Aufgabe.

Gerade in einem so beweglichen Umfeld wie der Elektromobilität ist der Einstieg in wandlungsfähige Produktionsstrukturen daher eine Alternative zum Fließbandprinzip. Im Projekt Smart Face (Smart Micro Factory für Elektrofahrzeuge mit schlanker Produktionsplanung) arbeiten acht Partner aus Wissenschaft, Automobil- und IT-Industrie (siehe Kasten) an einer Strategie für eine inselbasierte, autonome Endmontage der Fahrzeuge sowie an einer flexiblen, schlanken Produktionsplanung nach den Prinzipien von Industrie 4.0.
Bisher werden Produktionsprozesse von einer umfassenden IT-Infrastruktur gesteuert, die zentral alle Fertigungs- und Montageaufgaben sowie Materialflüsse vom Zulieferer bis zur Montagestation koordiniert. Das schränkt die Flexibilität für kurzfristige Reihenfolgeänderungen der Aufgaben stark ein. Anders bei Smart Face. Hier liegt die Planungsintelligenz nicht in einer übergeordneten Software, sondern dezentral verteilt in einem selbstorganisierenden Netzwerk cyber-physischer Systeme. In der Welt von Industrie 4.0 sind damit Dinge in einer Fabrik gemeint, die eigene Sensoren, Aktoren und eingebettete Software besitzen und miteinander kommunizieren. „Das können Montagestationen, Materiallager oder Transportfahrzeuge sein, die Teile fahrerlos an die Montagestationen liefern. In Zukunft sollen diese cyber-physischen Systeme die Produktion spontan selbst organisieren, ganz ohne zentrale Intelligenz“, erläutert Oliver Seiss, Logistik-Experte am Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik IML in Dortmund und Smart Face-Projektkoordinator.
Spontane Umplanung der Montagereihenfolge
Ein Beispiel, wie so etwas aussehen könnte: In der Autofabrik der Zukunft gibt es mehrere Arbeitsstationen, die nicht mehr in einer festen Abfolge hintereinander am Fließband stehen, sondern in prinzipiell beliebiger Position. Fällt eine Montagestation aus, wird nicht mehr die gesamte Linie stillstehen. Der Einsatz cyber-physischer Systeme ermöglicht eine spontane Umplanung der Montagereihenfolge, sofern die Montagearbeiten nicht direkt voneinander abhängig sind. Daher ist in der autonomen Autofabrik nicht mehr vorher festgelegt, was wann wo geschieht – das macht sie so wandlungsfähig und flexibel. Deswegen muss aber noch lange kein Chaos herrschen, denn es gibt neuartige Regeln auf Planungs- und Steuerungsebene. Eine Vorgabe könnte sein, dass das zu bestückende Fahrzeug möglichst kurze Wege in der Fabrik zurücklegt, denn jeder Transport kostet Zeit und Energie. Ob diese oder andere Regeln sinnvoll sind, untersuchen die Projektpartner derzeit.
Doch wer wacht darüber, dass die Regeln eingehalten werden, insbesondere wenn diese sich widersprechen? Das ist der wohl entscheidende Paradigmenwechsel – in der Fabrik 4.0 gibt es keine Hierarchien mehr, es gibt auch keine zentrale Produktionssteuerung, die alle Arbeitsschritte plant. Unter Berücksichtigung der physischen Gegebenheiten sind alle Bearbeitungsstationen und alle Bauteile, die keinen direkten Einfluss aufeinander haben, vorerst hierarchisch gleichgestellt. Welche Bauteile in welcher Reihenfolge verbaut werden, handeln die cyber-physischen Systeme untereinander aus.
Das geschieht über ein Multiagentensystem. Dies umfasst eine Vielzahl von Softwareagenten, die auf den einzelnen Teilnehmern des CPS-Netzwerks installiert sind. Sie handeln untereinander, autonom und vorausschauend Bedingungen aus, die zum optimalen Betrieb des Produktionssystems beitragen. Best möglicher Betrieb bedeutet zum Beispiel, dass die Fahrzeuge schnell und kosten- und energiesparend produziert werden. Von „kostengünstig“ möchte Oliver Seiss dennoch nicht reden, eher von „kostenoptimal“.„Die selbstorganisierende Fabrik der Zukunft ist nicht dazu da, Autos so billig wie möglich zu machen, da ist die hochautomatisierte Fließbandfertigung unschlagbar“, sagt Seiss. „Es geht vielmehr darum, eine Balance aus Kosten und Individualisierung zu finden.“
Im Kleinen ist die Vision der Projektpartner schon Realität geworden. Auf der Hannover Messe 2015 zeigte das vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie mit knapp 3 Millionen Euro geförderte Projekt eine Mini-Demo. Präsentiert wurde ein miniaturisierter Ausschnitt einer sich selbstorganisierenden Montage mit vier Arbeitsstationen, einem Supermarkt und vier kleinen Transportfahrzeugen, welche Miniaturkarossen und Bauteile zwischen den Stationen transportierten. Scheinbar planlos, tatsächlich aber von den Agenten nach sinnvollen Kriterien gesteuert, schwärmten die Fahrzeuge zu den Stationen, um eine reibungslose Produktion und Materialbereitstellung zu gewahrleisten.
Dass das nicht nur hübsch anzusehen ist, sondern auch in einer echten Fabrik funktioniert, sollen große Demonstratoren bekräftigen, die im letzten Arbeitspaket vor dem Projektende im November 2016 errichtet werden. In einer Testhalle am IML sollen Schwärme von autonomen Fahrzeugen, wie sie auch heute schon in Fabrikhallen unterwegs sind, mehrere Montagestationen versorgen. Zudem planen die Praxispartner des Projekts, unternehmensintern zu untersuchen, wie das entwickelte Konzept künftig auf ausgewählte Teilprozesse der echten Produktion übertragen werden kann. ■
Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistikwww.iml.fraunhofer.de

Smart Face Partner
Volkswagen AG
Sick AG
F/L/S Fuzzy Logik Systeme GmbH
Continental Teves AG Et Co. oHG
Lanfer Automation GmbH & Co. KG
Linogistix GmbH
Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik IML
Technische Universität Dortmund
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